Salon kontrovers: Briefe – schreiben und lesen - Metamorphosen des Eros: Der Briefwechsel zwischen Albert Camus und Maria Casarès
Es lesen Wolfram Koch und Anke Sevenich
Konzeption und Einführung: Ruthard Stäblein
Albert Camus verkörperte einstmals die „coolness“ der Existenzialisten, die „indifférence“, mit der sein Sisyphos mit Gleichmut den Stein immer wieder aufs Neue gegen den Berg anrollte. Auch sein Held Meursault aus dem Roman „Der Fremde“ (1942) ließ sich in seinem Langmut durch nichts erschüttern. Nicht durch den Tod seiner Mutter, nicht durch seine Mordtat, selbst nicht durch sein Todesurteil.
Dafür schuf Camus einen eigenen Stil: Sachlich, kalt im Ton. Kurze Sätze im Perfekt und nicht wie üblich im Erzählmodus des Imperfekts. Roland Barthes nannte diesen Stil „neutral“: „Le degré zéro de l'écriture“ – Am Nullpunkt der Literatur. Aber dann erschütterte den 30-jährigen Autor der Gleichgültigkeit doch etwas bis ins Mark: Eine Begegnung des Zufalls, bei einem Salonabend der Pariser Bohème Anfang 1944, kurz vor der Ausgangssperre der deutschen Besatzungsmacht, bei dem Camus ein Stück von Pablo Picasso aufführte. Sartre und Simone de Beauvoir spielten eine Rolle, aber die Hauptrolle wird eine Frau im Publikum übernehmen: Die 22-jährige Schauspielerin Maria Casarès. Eine grazile Schönheit eigener Klasse, schräggestellte Augen, energisches Kinn, raue Stimme. Ein Blick, ein Blitz. Camus wird getroffen und sinkt vor Maria nieder.
Seine schmachtenden Liebesbriefe ließ sie erst einmal unbeantwortet, was seine Glut erst richtig entfachte. Schließlich gab sie sich ihm hin und antwortete ihm ebenso befeuert. Das Liebesfeuer hielt an bis Camus' Ehefrau Francine aus Algerien nach zwei Jahren Abwesenheit nach Paris kam, und er das Feuer löschte. Dann aber – nach vier Jahren Pause – begegneten sich die Beiden wieder, zufällig, auf dem Boulevard Saint-Germain, dem Promenadepfad der Existenzialisten. Und ihre Liebe flammte wieder auf und hielt durch etliche Zwistigkeiten hindurch bis zum frühen Zufallstod von Albert Camus bei einem Autounfall am 4. Januar 1960.
Dieser erotisch-enthusiastische Liebesbriefwechsel wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt und von Camus' Tochter Francine herausgegeben.
Foto: Malte Jäger