Die neue Protestkultur
Iranische Frauen, die ihr Kopftuch verbrennen, Menschenmassen in Hongkong, die für Demokratie kämpfen, deutsche Bauern und Klimaaktivisten, die um die Zukunft ringen und Hunderttausende, die gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen: Ob national oder international, Protest ist so präsent wie nie. Doch die Form der Proteste hat sich verändert. Sie sind spontaner, ländlicher, informeller als früher – und das weltweit. Anhand zahlreicher Beispiele blickt der Protestforscher Dr. Tareq Sydiq auf die internationale Protestkultur. Anschaulich und faktenreich widmet er sich Protestereignissen der jüngsten Geschichte und erklärt ihre Strategien und Nachwirkungen. Was machte die Proteste erfolgreich, was ließ sie scheitern? Und wie kann Protest Gesellschaften verändern, auch wenn er seine Ziele nicht erreicht? Sydiqs globale Perspektive macht deutlich: Auch wir im demokratischen Westen können eine ganze Menge von Protestbewegungen in nicht-westlichen Staaten lernen.
Dass sich die Macht des Staates von Protesten beeindrucken lässt, ist alles andere als wahrscheinlich. Warum aber haben sie trotz allem regelmäßig Erfolg? Im Gespräch mit der ZEIT-Journalistin Vanessa Vu erklärt Tareq Sydiq anhand verschiedenster Beispiele die Entwicklung unterschiedlicher Protestformen und zeigt: Nur durch Lernfähigkeit, Originalität und einen langen Atem haben Protestierende eine Chance, sich durchzusetzen. In Hongkong organisieren sich Demonstranten und nutzen soziale Medien, um den Staatsapparat zu überfordern. Im Sudan schufen Regime-Gegnerinnen durch Community-Arbeit breite Bündnisse, die stabiler waren als das autoritäre System. Und im Iran, wo Frauen ohne Kopftücher allmählich das Bild der Öffentlichkeit prägen, ist ziviler Ungehorsam zur Alltagspraxis geworden. Unser mediales Bild von Protest ist durch Großdemonstrationen geprägt. Doch meist gehen ihnen verborgene Kämpfe voran, die auch lebendig bleiben, wenn die Massen wieder von der Straße verschwunden sind. Tareq Sydiq blickt auf Vorgänge jenseits der Schlagzeilen und zeigt an Protesten gegen Rechtextremismus, wie nachhaltig zivilgesellschaftliches Engagement auch Länder wie Deutschland verändert.
Die neue Protestkultur ist eine so umfassende wie zugängliche Bestandsaufnahme aktueller Protestbewegungen und ihrer Aktionsformen und macht zugleich die vielschichtigen Faktoren verständlich, die zu ihrem Erfolg oder Misserfolg beitragen. Emphatisch plädiert Tareq Sydiq für einen globalen Blick auf
Protest und zeigt, welche Lektionen Proteste im Iran, Sudan, China und weiteren Ländern auch für unsere demokratische Kultur bereithalten.
Dr. Tareq Sydiq, geboren 1992, ist Protestforscher am Zentrum für Konfliktforschung in Marburg. Der promovierte Politikwissenschaftler beschäftigt sich mit Protestbewegungen weltweit und forschte hierzu in Iran, Japan, Pakistan und England. Regelmäßig tritt er in den Medien als Experte auf, darunter Der Spiegel, Die ZEIT, TAZ, WDR, Deutschlandfunk Nova, radioeins und Deutsche
Welle.
Foto: Ali Kanaan