von Suzie Miller
Was passiert, wenn sich das System, an das man geglaubt hat, plötzlich gegen einen wendet? Wenn patriarchale Strukturen, von denen man glaubte, sie durchdrungen zu haben, scheinbar unüberwindbar werden? Wenn man erkennt, dass sich die eigene Verantwortung in einem solchen System nicht leugnen lässt? Beweis des ersten Anscheins – das ist die Bedeutung des juristischen Begriffs „Prima Facie“. Solange keine Gegenbeweise vorgelegt werden, gilt der Beweis des ersten Anscheins. Die Wahrheitsfindung gleicht einer Gratwanderung – ob die juristische Wahrheit dabei der tatsächlichen Wahrheit entspricht, darum geht es vor Gericht zunächst nicht. Auch nicht für Tessa, eine junge Star-Anwältin, die Worte wie sensible, scharfe Werkzeuge zum Vorteil ihrer Mandanten und ihrer eigenen Karriere nutzt. Das Gesetz, das als objektiv und vernünftig angesehen wird, ebnet ihr den Weg zu beruflicher und öffentlicher Macht. Erfolge vor Gericht berauschen sie. Dabei ist es egal, weswegen ihr Klient angeklagt ist – Raub, Körperverletzung, Sexualdelikte. Hauptsache: gewinnen.
Doch plötzlich fühlt es sich nicht mehr wie ein Spiel an: Tessa wird Opfer einer Vergewaltigung. Auf einmal sind die Rollen vertauscht und sie findet sich im Zeugenstand wieder. Sie weiß, ihr eigener Prozess stützt sich auf Prima-Facie-Beweise, die so lange wahr sind, bis sie widerlegt werden. Trotz der aussichtslosen Situation nimmt Tessa den Kampf auf.
Die australische Dramatikerin und Drehbuchautorin Suzie Miller hat selbst viele Jahre lang als Strafverteidigerin gearbeitet. Schwerpunkt: Sexualdelikte. Mit ihrem eindringlichen Ein-Frauen-Stück, 2019 in Sydney uraufgeführt, hat sie die Theaterwelt erobert und dabei praktisch alle wichtigen Preise abgeräumt. Im Londoner Westend und am New Yorker Broadway war das brandaktuelle „Me-too“-Stück ein riesiger Erfolg, in den Schauspielhäusern von München, Hamburg, Wien wurde es vom Publikum gefeiert. Prima Facie – spannend, essentiell, im Bann der Gegenwart!
Regie: Sven Grunert
Es spielt: Louisa Stroux
Dauer: ca. 90 Minuten ohne Pause
Foto: Alvise Predieri