Salon kontrovers: Briefe – schreiben und lesen - Metamorphosen des Eros: Der Briefwechsel zwischen Friedrich Hölderlin und Susette Gontard
Es lesen Stephan Wolf-Schönburg und Paula Hans
Konzeption und Einführung: Ruthard Stäblein
Was für ein Zufall, was für eine Fügung. Der junge Dichter Friedrich Hölderlin schreibt 1793 ein Romanfragment, in dem seine Dichterfigur Hyperion Liebesbriefe an eine gewisse Melite schreibt. Diesen Hyperion liest die junge Ehefrau und vierfache Mutter Susette Gontard – in der sogenannten Erst-Fassung von Walterhausen und in der Abschrift eines Verehrers - in Frankfurt. Und dann kommt dieser Dichter Hölderlin 1796 nach Frankfurt und tritt bei ihrem Ehemann, den reichen Bankier Gontard, eine Stelle als Hauslehrer an. Susette erkennt ihren Hyperion in Hölderlin wieder, welch „geheime Verkettung der Dinge“, wie sie ihm später in einem Brief schreiben wird. Und er, Hölderlin, vertraut in einem Brief seinem Freund Neuffer an: „Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem Wesen, das sich recht in dies arme und geistlose Jahrhundert verirrt hat! Mein Schönheitssinn ist nun vor Störung sicher. Er orientiert sich ewig an diesem Madonnenkopfe. Mein Verstand geht in die Schule bei ihr.“
Daraufhin schreibt Hölderlin eine weitere Fassung seines Hyperion-Romans, und aus Melite wird Diotima, benannt nach der einzigen Frau in Platons „Symposion“, die Eros als höchste Tugend feiert und dies Sokrates ins Ohr flüstert.
Aus der platonischen Liebe wird eine wirkliche, als die Beiden wochenlang in Kassel und Driburg unter sich bleiben, gefördert durch den Schriftsteller und Erotiker Wilhelm Heinse. Als das heimliche Paar wieder nach Frankfurt zurückkehrt, scheint das Liebesgeheimnis aufzufliegen. Das Paar aber hat keine Zukunft. Der studierte Theologe Hölderlin will nicht Pfarrer werden und als Hauslehrer-Dichter wird er die vierfache Mutter nicht ernähren können. Hölderlin reichte im September 1798 seine Entlassung ein und zog zu seinem Freund Sinclair nach Bad Homburg.
Von dort aus wanderte er fast 2 Jahre lang monatlich rund 30 Kilometer bei Wind und Wetter nach Frankfurt in die Adlerflychtstraße, wo die Sommerresidenz der Gontards liegt. An der Hecke vor einer Laube tauschten die Beiden ihre Liebesbriefe aus. – Der Adlerflychtsche Hof wurde später abgerissen und heute steht da an der Ecke zum Oederweg ein Kinderspielplatz. Ein Schild weist noch auf das Anwesen hin. – Um zum Adlerflychtschen Hof zu gelangen, musste Hölderlin durch den Holzhausenpark direkt am Holzhausenschlösschen vorbei und dann in den Oederweg abbiegen. Das Holzhausenviertel ist also ein „genius loci“, ein besonderer Ort, der die Liebe zwischen Hölderlin und seiner Diotima Susette Gontard bezeugt, beide zu ihren Liebesbriefen anregte, und ihn zur Dichtung des Hyperion.
Hölderlin bewahrte die Briefe seiner Susette/ Diotima sorgfältig und andächtig auf. Er nahm sie auch mit auf seine Fußreise nach Bordeaux im Dezember 1801 und Januar 1802. Nach nicht einmal sechs Monaten kehrte er – zerrüttet – nach Nürtingen zurück zu seiner Mutter. Die öffnete heimlich ein Paket mit Briefen von Susette Gontard. Hölderlin wurde fuchsteufelswild. Zudem erfuhr er, dass seine Susette am 22. Juni 1802 in Frankfurt gestorben war. Von nun an trieb er immer mehr ins Dunkle hinab. 17 Briefe von Susette Gontard haben sich im Nachlass von Hölderlin erhalten, aber nur drei von ihm. So wollen wir im „Salon kontrovers“ auch auf Briefe und Gedichte von Hölderlin zurückgreifen, die seine Liebe zu Susette in der Figur von Diotima vorwegnehmen oder dann im Rückblick wie in „Menons Klage um Diotima“ betrauern:
„Aber das Haus ist öde mir nun, und sie haben mein Auge Mir genommen, auch mich hab ich verloren mit ihr. Darum irr ich umher, und wohl, wie die Schatten, so muß ich Leben, und sinnlos dünkt lange das Übliche mir.“
Im Roman schickt Hyperion Abschiedsbriefe an Diotima, in der auch von „Entsagung“ die Rede ist. Seine Geliebte Diotima zerbricht daran. Er wird seine Heimat Griechenland aufgeben, nach Deutschland gehen, dort studieren. Und auch von den Deutschen wird er enttäuscht werden. "Was bleibet aber, stiften die Dichter".
Foto: Maike Ammann