Ab und zu – selten, aber es kommt vor – spuckt die Theaterwelt ein Musiktalent aus, dem man sofort zuhört. Zuhören muss. Der einen auch als Mime schon beim Betreten der Bühne direkt in den Bann zieht. Und manchmal rettet diese zum Musiker gemorphte Person gleich alle Facetten, alles Eklektische aus seiner eigentlichen, in die neue Welt herüber. Und mehr. Schauspieler Paul Sies muss dieser verschwindend kleinen Gruppe zugerechnet werden.
Hier hat jemand nicht die geringste Lust, sich zu verkaufen oder eine als larmoyante Kalendersprüche verkleidete Prosa feilzubieten. Sies‘ schwermütige Mörderballaden schlingern die Straßen von Nick Caves Nachbarschaft entlang, leuchten sich durch die dunkelsten Wege deutscher Liedermacher der 70er-Jahre, schlendern wie Chansoniers auf Pfaden noch früherer Tage. Sie ähneln bisweilen aber auch den Oden heutiger Helden wie Tristan Brusch, ohne bloße Kopie zu sein. Tollpatschige Hymnen, französische Filmmusik, verhallte, aber zeitgemäße Twang-Gitarren, schwelgerische Pose, ein melodieseliger Ennui und bodenständige Geschichten aus Sies‘ Leben, die anders präsentiert auch als Belletristik durchgehen könnten. Das Tieftraurige kleidet Sies jedoch immer wieder in wahnwitzige Kostüme, nachzusehen in seinen diversen, nicht minder einfallsreichen Videos.
Gemeinsam mit Produzent Patrick Reising (Die höchste Eisenbahn, Dota, Crucchi Gang) schmeißt Paul Sies sich in die große Geste - mit der Unterstützung einer knallharten Profiband: Max Schröder (Olli Schulz, Tomte) an den Drums, Liv Solveig (Annett Louisan, Tristan Brusch) an der Geige, Jörg Holdinghausen (Wir sind Helden, Tele) am Bass und Christoph Bernewitz (Niels Frevert, Crucchi Gang) an der Gitarre - nicht zu schweigen von den wunderschönen Orchesterarrangements von Johannes Christ für das Kammermusikensemble Laubenheim.
Auf seinem neuen Album "Mein schöner Hals" fällt einem eines seiner Alleinstellungsmerkmale auf: Paul Sies kennt musikalisch und textlich keinerlei Eitelkeit, im Gegenteil, er berichtet davon, wie deprimierend und gleichzeitig schön das Dasein sein kann. Rührend ergreifend manifestiert er das auf seinen Songs. Bei einigen Stücken auf "Mein schöner Hals" kommt einem eine erstaunliche Erkenntnis: Sies ist auf einmal hier und da die deutsche Version von Killers-Frontmann Brandon Flowers, sowohl was das Talent zur großen Melodie, was die stimmliche Ähnlichkeit des traurigen Straßenhelden und nicht zuletzt, was das Aussehen angeht (denn sagen wir mal so: man muss nicht weggucken, wenn der Typ irgendwo auftaucht).
Aber scheiß auf alle Vergleiche: "Mein schöner Hals" strotzt vor Eigenheit und Charme und Trauer und Trost. Und im Mittelpunkt steht ein schüchtern verzweifelter Mann mit einer Stimme, die einem Riss im Putz gleicht, der nach oben zum Stuck strebt. Kurzum: Man will diesen Mann kennenlernen. Ihn singend auf einer Bühne sehen. Und zwar schnell.
Einlass: 19:30 Uhr