„Lieber Lamm in der weiten Welt! – Deine unvergeßliche Häsin“. Aus dem Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Katia Mann
Thomas Mann, 1875 in Lübeck geboren, veröffentlicht 1901 den Familienroman „Buddenbrooks“. Trotz des Erfolgs fühlt er sich einsam und wie sein Held der gleichnamigen Novelle, Tonio Kröger, „sterbensmüde, das Menschliche darzustellen, ohne am Menschlichen teilzuhaben.“ Er fühlt sich wie Tonio Kröger in einem Zwiespalt: „ein Bürger, der sich in Kunst verirrt, ein Bohemien mit Heimweh nach der guten Kinderstube“. Aus diesem Zwiespalt sucht er sich zu lösen, indem er eine Familie gründet, die ihm den Halt gibt, um weiter zu schreiben. Sein Dilemma: Er muss seine heimliche Sehnsucht nach jungen Männern stillhalten, den „Urkram“, diese verhasste „Geschlechtlichkeit“ sublimieren, kultivieren, so gut es geht. Und kann so weiterschreiben. War die Ehe also Kalkül?
Und doch ist er anders als sein Tonio. Er umwirbt Katia Pringsheim, 1883 in einer gebildeten, bürgerlichen, reichen, deutsch-jüdischen Münchner Familie geboren. Fast ein Jahr lang schreibt er ihr Liebesbriefe, die geradezu überschwänglich, betörend, verzaubernd, verführerisch, verzweifelt, verzagt, verwirrt, überwältigend sind. Katia ziemt sich wie ein Burgfräulein, antwortet kaum auf seine Briefe; aber Thomas belagert sie so lange bis er die 21-Jährige nach einem Jahr heiraten darf, obgleich sie lieber weiter Mathematik studieren und Tennis spielen würde. Schon 9 Monate nach der Hochzeitsreise, wird die Älteste geboren, Erika, dann Klaus und vier weitere Kinder.
Katia akzeptiert die homosexuellen Neigungen von Thomas, die er eh zumeist sublimiert. Sie kümmert sich um die Kinder, den Haushalt, die Verhandlungen mit dem Verleger. Sie war die Mutter der Mann-Kompanie. Fühlt sich Katia in ihrer Ehe eingeengt, Thomas Mann unbefriedigt? Trotz der Spannungen, nennen sie sich zärtlich mit Kosenamen: sie die Häsin, er das Reh.
Nach der Hochzeit schrieb sie die Briefe, die er kaum mehr beantwortet. Katia argwöhnt einmal sogar, dass er ihre Briefe nicht einmal liest. Das kann nicht stimmen. Denn viele ihrer Eindrücke und Beobachtungen finden ihr Echo in seinem Werk, insbesondere im „Zauberberg“ und in seinen umfangreichen „Tagebüchern“. Ihre Briefe sind keineswegs „ins Leere gesprochen“, sondern berühren noch den heutigen Leser aufgrund ihrer Klarheit, Direktheit und literarischen Qualität. Ihre Briefe brauchten gar nicht beantwortet werden, denn sie stehen auch für sich. Sie sollten zum Kanon der deutschen Literatur gerechnet werden, wie die Briefe der Mme de Sévigné zum französischen.
Es handelt sich insgesamt um eine asymmetrische Briefführung. Und aus unserem „Salon kontorvers“ wird dieses Mal eher ein „Salon introvers“. Im Vorausblick auf den 150. Geburtstag von Thomas Mann im nächsten Jahr.
Wie im Hause Mann wird in diesem Salon der Dialog über die Bande geführt.
Bild (C) Bundesarchiv Berlin (Bild 183-H27031), via Wikimedia Commons