Die Antilopen Gang hat ihre parolenhaftesten Songs in der Regel am meisten
bereut. Auf nahezu jede ideologieverdächtige Pose folgt Selbstrevidierung, auf
jeden Smash-Hit eine miesmacherische Antithese – das geht inzwischen seit
fünfzehn Jahren so. Fünfzehn Jahre Antilopen, das heißt auch fünfzehn Jahre
Antilopen’sche Dialektik, fünfzehn Jahre »verkrampftes Verhältnis zum Wir«,
fünfzehn Jahre Musik »für wenige, wir werden immer weniger«. Am 28. Todestag von
Tupac Shakur, noch dazu einem Freitag, den 13., wird dieses Jubiläum gebührend
gefeiert: Mit einem in vielerlei Hinsicht partycrashenden Hälfte-Rap-Hälfte-Punk-
Doppelalbum, das so konsequent auf Parolen verzichtet, wie kein anderes Release
in der bisherigen Antilopen-Legacy. »ALLES MUSS REPARIERT WERDEN« ist ein
undogmatisches Manifest gegen Traditionen und Beständigkeiten, gegen
Traumtänzertum, Schönmalerei und nicht zuletzt gegen alle anderen Bands – in sich
paradox schlüssig und doch maximal doppelgesichtig. Es kombiniert das über weite
Strecken bleischwer-resignierte, trotzdem oder gerade deshalb großartige,
mindestens siebte HipHop-Album einer HipHop-Crew, die dem HipHop womöglich
längst überdrüssig geworden ist, mit dem jugendlich-unbeschwerten, nicht weniger
großartigen Punkrock-Debüt einer Band, die plötzlich wieder klingt, als hätte sie
frisch zueinander gefunden.
Das Werk beginnt mit der – nicht zuletzt in ihrem Nihilismus – beachtlich stringenten Rap-
Platte. Über zehn Songs hinweg malen Danger Dan, Koljah und Panik Panzer darauf den
Teufel an die Wand – in den düstersten Farben und frei nach dem Motto: »Es gibt nichts
zu retten, es ist wie einen Ozean anbeten und hoffen, dass die Wogen sich glätten«. Diese
Welt ist am Arsch und nicht zu reparieren, »jede Utopie ist tot«, jedweder Optimismus
schlichtweg unangebracht – das ist die zentrale Botschaft fast aller Rap-Songs auf
»ALLES MUSS REPARIERT WERDEN«. Stiegen die Antilopen früher meist mit triumphalen
Representern in ihre Alben ein, steht nun mit »Nichts für immer« ein durchweg
niederschmetternder, sparsam instrumentierter Song am Anfang der Tracklist – das
anschließende »Traumtänzer & Schönmaler« klingt nicht minder resigniert, aber spürbar
aggressiver: »Ihr seid so engagiert, ich plane, alles hinzuwerfen – doch vorher mach ich
aus dem Sommer- noch ein Wintermärchen«. Und dann? »Oktober in Europa«. Dieses
ergreifende Statement zum islamistischen Massaker, das am 7. Oktober 2023 Israel
erschütterte und global eine Welle antisemitischer Gewalt nach sich zog. An der Album-
Version des Songs, der bereits im April erschien und riesige Kreise zog, hat sich nun
Sophie Hunger mit zwei aufwühlenden Gesangsparts beteiligt. Sie ist der einzige
Featuregast, den die Antilopen in den Organismus »ALLES MUSS REPARIERT WERDEN«
integriert haben.
»Oktober in Europa« spiegelt wie kein anderes Lied, in welchem zeitlich-gesellschaftlichen
Kontext das Album entstanden ist. »ALLES MUSS REPARIERT WERDEN« klingt –
zumindest zu Beginn – so hoffnungslos und desillusioniert, weil die Antilopen es in einer
Zeit realisiert haben, in der das Weltgeschehen von Tag zu Tag mehr Hoffnungslosigkeit
und Desillusion erzeugte. Und dann starb im Dezember 2023 auch noch Torsun
Burkhardt, ein langjähriger Freund der Band – die tieftraurige Egotronic-Reminiszenz
»Rannte der Sonne hinterher« ist ihm gewidmet. Erst in der Mitte des Albums kommt es,
endlich, zu einem verhaltenen Augenzwinkern: In »Direkter Vergleich« feiern sich Danger
Dan, Koljah und Panik Panzer als beste Band aller Zeiten – was allerdings kein
Kunststück sei, da es schlichtweg keine gute Musik mehr gäbe. Ansonsten geht nur noch
das später folgende, süffisante »Sympathie für meine Hater« als Punchline-Track durch.
»Das Leben ist schön« wartet hingegen mit keineswegs ironisch gemeinten, sehr
persönlichen Liebesbekundungen auf und wäre von den Antilopen in ihren Anfangsjahren
wohl ebenso vermieden worden wie das von trübem, Rio Reiser-artigem Pathos
umrahmte »Für wenige« – ein aufrichtiger Gruß in Richtung des angestammten
Dunstkreises, ein Stück, das sich wie ein Lichtblick anfühlt. Die Antilopen Gang ist
keineswegs altersmilde, aber zumindest partiell erwachsen geworden – das wird auch in
einem Song wie »Alter Wegbegleiter« klar, in dem sie missmutig ihr Verhältnis zum Rausch
reflektiert. Schonungslos ehrliche Zeilen wie »Ich werd nicht rückfällig, weil ich eine
Tochter hab, die mir so viel bedeutet, dass mir Tränen in die Augen schießen, wenn ich
nur versuche, mein Gefühl für sie zu formulieren« hätte es in der Vergangenheit wohl
kaum gegeben.
Am Ende der Rap-Platte steht mit »Wenn das hier vorbei ist« ein Song, der
unmissverständlich mit dem Motiv Abschied spielt – bezeichnenderweise kommt an
dieser Stelle fast schon so etwas wie gute Stimmung auf. Würde »Wenn das hier vorbei
ist« den Schlusspunkt des Doppelalbums markieren, läge der Gedanke nahe, dass die
Messen gelesen sind und das fünfzehnte Jahr in der Antilopen-Geschichte das finale sein
könnte. Wäre da nicht noch dieses zweite Album, dieses Punk-Album, das
antilopentypisch mit allem bricht, was bisher geschah. Denn: Als die Antilopen Gang im
Spätherbst 2023 – man hatte sich gerade von der bahnbrechenden Erfolgsgeschichte
»Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« erholt – wieder im Studio zusammenfand, ist
parallel zu misanthropisch-verkopften Rap-Songs eben auch eine Albumladung
vollwertiger Punkrock-Brecher entstanden. Dass es irgendwann zu einer von
Schrammelgitarren getragenen Antilopen-Platte kommen müsste, war eigentlich seit
fünfzehn Jahren klar: Danger Dan, Koljah und Panik Panzer konnten und wollten sich
noch nie zwischen New Era-Cap und Sex Pistols-Shirt entscheiden, haben jahrelang
HipHop-Platten über das Label der Toten Hosen veröffentlicht und schon 2017 diverse
Punk-Legenden auf dem Bonusalbum »Atombombe auf Deutschland« versammelt.
Jetzt also ein ganzes Punk-Album, das allein deshalb unverzichtbar ist, weil es ein
eskapistisches, auflockerndes Gegengewicht zum vorangestellten ersten Teil des
ambivalenten Gebildes »ALLES MUSS REPARIERT WERDEN« darstellt. Es beginnt mit
der rotzigen 77er-Punk-Nummer »Oberbürgermeister«, die nicht nur wegen ihrer
Männlichkeitskritik den Ton für die zweite Hälfte des Doppelalbums vorgibt: Wo gerade
noch Verzweiflung war, wird jetzt offensiv die Verdrängungstaktik praktiziert; wo Gags
eben noch unangebracht wirkten, stehen sie nun im Vordergrund; wo fast zu viel
Substanz war, sind plötzlich auch Plattitüden erlaubt; wo klangschön-sinistre Samples
ertönten, schrubben plötzlich dünne, verstimmte, analog eingespielte Gitarren. Hier singt
Koljah – ja, das kann er auf einmal – vom schönen Leben, das es ihm unmöglich macht,
seinen Freunden bei Umzügen zu helfen; da widmet sich Danger Dan nahezu hymnisch
dem Phänomen Fitnesscenter; dort outet sich Panik Panzer wie am Spieß schreiend als
Hafermilch-Hipster. Nach cholerischem Polit-Punk sucht man auf »ALLES MUSS
REPARIERT WERDEN« wohlgemerkt vergebens – stattdessen geht es um einen netten
Nachbarn, der sich eines Tages als Killer entpuppt. Oder um eine rückwärtsgewandte
Altherrenclique in Lederjacken, die zu einem Punk-Festival fährt. Oder um die These, dass
– Stichwort »Inkarnation der Inkarnation« – nichts mehr kaputt gemacht werden sollte.
Punk im Punk gewissermaßen. Für bare Münze sind am ehesten die Ausbruchsphantasie
»Weg von hier« und die zornige, entfernt an Dead Kennedys erinnernde Grölvorlage
»Muttertag« zu nehmen.
Danger Dan, Koljah und Panik Panzer haben schlichtweg zwölf stilgerechte, zeitlose
Punkrock-Songs vorgelegt. Das ist die große Stärke des Antilopen-Punkrock-Debüts:
Diese Platte ist glaubwürdig, muss sich vor der ‚echten‘ Jetztzeit-Punkszene mitnichten
verstecken, ist weder klischeehafte Parodie noch schnödes Crossover-Experiment. Trotz
melodisch-poppiger Episoden spiegelt sie den fantasierenden Charme des Urzeit-Punk –
weil sie weder aufpoliert noch breitbeinig klingt. Die Antilopen Gang hat sich locker
gemacht – und auf die gleiche Art Gitarrenmusik fabriziert, mit der sie vor fünfzehn Jahren
ihre ersten Rap-Songs erjammt hat: Assoziativ, weitgehend konzeptlos, frei von jeglichem
Druck und getragen von einem unverwechselbaren Humorstil. »ALLES MUSS REPARIERT
WERDEN« bündelt – und dafür hat es beide Halbteile unweigerlich gebraucht – die
komplette, im Laufe der letzten fünfzehn Jahre gewachsene Essenz des Antilopen-
Kosmos. In seinen todernsten und witzigen, seinen sanften und spitzen, seinen
politischen und albernen, seinen lauten und leisen Momenten. Das Doppelalbum
erscheint am 13. September 2024 auf dem bandeigenen Label Antilopen Geldwäsche.
Bild: Danny Kötter
Einlass: 17:30 Uhr