FELIX MENDELSSOHN | 1809-1847
Drei Psalmen op. 78 für gemischten Chor a cappella

KURT HESSENBERG | 1908-1994
Oh Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens op. 37/1 (1946)
Motette für 6-stimmigen gemischten Chor a cappella

FRANCIS POULENC | 1899-1963
Figure humaine Kantate für 12-stimmigen gemischten Doppelchor a cappella

Chorwerk Ruhr
Florian Helgath, Dirigent
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80 Jahre liegt das Ende eines Krieges zurück, den wir den zweiten nennen, Europa lag in Trümmern. Ein Menschenalter später tobt der Krieg erneut in Europa, was bedeutet „In Frieden“ inmitten des Kriegs? Wenn nicht Erinnerung? An die Momente in der Geschichte, in der Frieden mehr war als Stillstand der Waffen. Chorwerk Ruhr sucht die Erinnerung in der Geschichte der Musik. Wie Krieg klingt, weiß jeder, der Nachrichten hört, wie klingt Frieden?

So, wie Felix Mendelssohn Psalmen vertont hat, dies die erste Antwort, das Chorwerk gibt. Ein „Lauschen ins eigene Innere“, so hat Mendelssohn selber über seine Komposition gesagt, deren Sprache die eines inneren Zwiegesprächs ist, wie Menschen es führen, die mit sich selber zusammenleben. Kein Rückzug, eine Rückbesinnung.

Um die Welt in den Blick nehmen zu können, sie lieben zu lernen, sie zu gestalten. "Oh Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens"  -  das Gebet wird Franz von Assisi zugeschrieben, es formuliert eine Sehnsucht aus dem 13. Jahrhundert, vertont hat sie Kurt Hessenberg 1946, als Europa zum Gräberfeld geworden war. Eine Rückbesinnung für Hessenberg selber, er war spät  -  1942  -  der Nazi-Partei beigetreten, wurde von den Nazis dann im Sommer 1944 zu den „Gottbegnadeten“ gezählt, das Werk steht am Beginn seines Turnarounds in die Demokratie hinein (und wurde, das nebenher, in Essen-Werden uraufgeführt).

Und dann, eine dritte Erinnerung von Chorwerk Ruhr, die berühmte Kantate "Figure humaine" von Francis Poulenc, geschrieben während der Zeit, als Frankreich unter der Nazi-Besatzung litt. Die 12stimmige Kantate ist überwältigend, sie vertont ein Gedicht von Paul Éluard, 1942 geschrieben und von den Nazis sofort verboten  -   Éluard zählt Momente auf und Dinge, die nah sind wie erwartende Lippen und fern wie das Echo meiner Kindheit, die traurig sind wie die Treppenstufen des Todes und glücklich wie die Wunder der Nächte, die alltäglich sind wie die Schwingen der Vögel und einmalig wie jede gereichte Hand und auf die alle er deinen Namen schreibt  -  Liberté. Freiheit. Das Werk, von der Jazz-Harmonik beeinflusst, aber immer tonal, mündet in einen über vier Oktaven aufgefächerten Akkord, der den ersten Sopranistinnen ein dreigestrichenes „E“ abverlangt. Auf diesen finalen Aufschrei hat Poulenc hingearbeitet, seine Figure humaine singt, gegen andauerndes Kriegsgeheul, die Freiheit in die Welt hinein … Kein Frieden ohne sie, die Liberté. 

Francis Poulenc´ Vokalmusik ist zum Inbegriff der A-cappella-Kunst des 20. Jahrhunderts geworden, und jetzt? Im 21. Jahrhundert? In dem der Krieg in Europa seit mehr als drei Jahren tobt? Jetzt ein Konzert, wie es nur Chorwerk Ruhr komponieren kann. Ein Jubiläumskonzert - „25 Jahre Chorwerk Ruhr“ - , aber keine Fanfaren und Feuerwerke am Fürstenhof. Wiewohl dieser Chor jeden Grund hätte, sich fürstlich feiern zu lassen, er zählt zu den besten Chören der Republik. Eben deshalb, weil er gegenwärtig ist, parteiisch, fordernd.

Und einladend: Den Weg, den Chorwerk Ruhr singt, kann ´In Frieden´ gehen, wer es gewohnt ist, mit sich selber zusammen zu leben und sich  -  um Hannah Arendt, die politische Philosophin, ein wenig zu paraphrasieren  -  sich auf jenes stille Zwiegespräch einzulassen zwischen mir und mir selbst, das wir als Hören bezeichnen, ein denkendes Hören.

Eventdaten bereitgestellt von: Reservix