Corpus Delicti // 15+
Die Geschwister Mia und Moritz Holl wachsen in einem System – genannt DIE METHODE – auf, das mit allen Mitteln versucht, Menschen vor körperlichem Leid zu bewahren. Gesundheit ist das höchste Ziel des Staates. Nicht nur strenge Hygienegesetze sorgen dafür, dass dieses Ziel erreicht wird. Während die Naturwissenschaftlerin Mia Holl DIE METHODE befürwortet, ist die Anpassungsfähigkeit ihres Bruders zu wenig ausgeprägt, zu groß ist dessen Freiheitsliebe. Sie wirft ihm unsoziales Verhalten vor, er ihr Angst davor, zu spüren, was Leben wirklich bedeutet. Jetzt ist Moritz tot. Ein DNA-Test hat ihm eine Vergewaltigung mit Todesfolge nachgewiesen, in Haft begeht er Selbstmord. Mia trauert um ihn, sie vernachlässigt ihre Gesundheitsprotokolle, gerät dadurch ins Visier der Justiz und in die Fänge eines fundamentalen Fürsprechers von DIE METHODE. Sie zweifelt zunehmend an der Schuld ihres Bruders und wird zusehends zum Spielball eines Schauprozesses, in dem sie zur Staatsfeindin stilisiert wird.
Das Theaterstück „Corpus Delicti", von Juli Zeh als Auftragsarbeit für die Ruhrtriennale geschrieben, war 2007 eine Antwort auf die verschärfte Gesetzeslage im Gefolge der internationalen Terrorismusbekämpfung. Matthias Kaschig befragt in seiner Arbeit das Verhältnis des Einzelnen und dessen Recht auf Selbstbestimmung im Verhältnis zu seiner Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft. „Corpus Delicti" ist ein Gerichtsdrama, lose Geschichten zu einem nachvollziehbaren Tathergang und Motiv zusammenzutragen die Aufgabe jedes Gerichtsprozesses und auch jedes Theaterabends. Doch wer hat die Hoheit über diese Lebensgeschichten? Das Stück zeigt exemplarisch auf, wie diese erdacht und umgestaltet werden und wie dabei aus einer unbescholtenen Person eine Gefährdung für die Allgemeinheit werden kann. Nachdem Gott für tot erklärt wurde, findet hier der Mensch den Sinn seines Lebens im Streben nach Gesundheit. Die Inszenierung wirft die Frage auf, wieviel Helligkeit der Mensch verträgt. Sollte es nicht ein Recht auf Schwärze geben? Denn, so fragt Moritz Holl, wurde der Schlaf nicht erfunden, damit wir uns Nacht für Nacht an den Tod gewöhnen.